Wir haben dem angesehenen Wirtschaftsexperten und Journalisten Norbert Häring Fragen gestellt zu einem seiner Fachgebiete, dem Bargeld. Geldscheine und Münzen zu erhalten als Alternative zu einem völlig elektronischen Geldsystem, das sollte uns alle angehen. Norbert Häring kämpft derzeit zum Beispiel vor dem Europäischen Gerichtshof für das Recht, dass der Bürger seinen Rundfunkbeitrag in bar und ohne Zusatzkosten bezahlen kann.
FMW: Sie schreiben selbst, dass dass Bundesverwaltungsgericht entschieden hatte, dass gemäß §14 Bundesbankgesetz öffentliche Stellen, darunter den Rundfunk, verpflichtet sind, die Barzahlung hoheitlicher Abgaben zu ermöglichen. Glauben Sie, dass der EuGH letztlich dem folgen wird, und allen Beitragszahlern des Rundfunkbeitrags eine Barzahlung ermöglichen wird?
Norbert Häring: Was den Rundfunkbeitrag angeht, so hatte ich den Eindruck, dass man der Argumentation des Rundfunks nicht viel abgewinnen kann, unter anderem, weil es kostengünstige Lösungen über Drittanbieter gibt, Barzahlung zu ermöglichen. Ich schlechtesten Fall wird dem Rundfunk mindestens aufgetragen, eine Härtefallregel für Kontenlose zu schaffen.
FMW: Wenn Sie die Bargeld-Klage gewinnen, glauben Sie an eine Art Ausweichen von Ämtern und Rundfunk, zum Beispiel dass die Barzahler durch Alternativlosigkeit quasi dazu gedrängt würden, nur bei Banken am Schalter bar einzuzahlen, mit entsprechender Einzahlungsgebühr seitens der Banken, was gerade viele Menschen mit kleinem Geldbeutel von einer Barzahlung abhalten würde?
Norbert Häring: Auf die Option verweist ja derzeit schon der Rundfunk, dürfte damit aber scheitern, weil zum gesetzlichen Zahlungsmittel gehört, dass man ohne Mehrkosten damit bezahlen kann. Mehr Sorge macht mir die zunehmende Bargeldverweigerung durch Private, die sich auf die Vertragsfreiheit berufen können.
FMW: Warum glauben Sie, haben Regierungen und staatliche Institutionen generell den Drang, sich immer weiter vom Bargeld zu entfernen? Ist es der Grundgedanke von mehr Kontrolle über den Bürger? Und ist es bei einigen Experten sogar der Wunsch, dass die Bürger dann dem Bankensystem voll und ganz ausgeliefert sind, und vor einem Bankenkollaps keinen Bank Run mehr veranstalten können?
Norbert Häring: Letzteres dürfte vor allem das Interesse der Banken an der Beseitigung des Bargelds erklären helfen. Die anderen Kernmitglieder der Better Than Cash Alliance (Besser als Bargeld Allianz) in Washington, nämlich die IT-Unternehmen und die US-Regierung haben vor allem das Überwachungsinteresse. Über die Globale Partnerschaft für „finanzielle Inklusion“ (ein Tarnwort für Bargeldbeseitigung) sind alle G20-Regierungen dem Anti-Bargeld-Gedanken verpflichtet. Sie machen einerseits unter politischem Druck mit, was die US-Regierung vorantreibt, andererseits weil sie auch ganz gern ihre Bürger besser überwachen und kontrollieren können wollen.
FMW: Der EU-Generalanwalt hat angekündigt, am 29. September seine Entscheidungsempfehlung abzugeben. Für wann rechnen Sie dann mit einer Entscheidung des EuGH?
Norbert Häring: Ich nehme an, einige Wochen später wird der EuGH entscheiden.
FMW: Glauben Sie, dass die Bundesregierung den §14 Bundesbankgesetz umschreiben könnte, um das „Problem“ der Barzahlung gegenüber Behörden > und Rundfunkanstalten zu lösen?
Norbert Häring: Das würde wohl nichts helfen, weil Artikel 128 des EU-Vertrags (VAEU) den gleichen Inhalt hat.
FMW: Sie beleuchten immer wieder die Vorgänge rund um die Better than Cash Alliance sehr kritisch. Natürlich ist diese Organisation für Verschwörungstheoretiker ein gefundenes Fressen, vor allem beim Blick auf die Mitwirkenden an diesem Projekt. Was glauben Sie, warum gerade Personen wie Bill Gates dort mitmachen? Hat er ein persönliches kommerzielles Interesse an der Steigerung der Karten- und Onlinezahlungen zum Beispiel in Afrika?
Norbert Häring: Den diffamierenden Begriff „Verschwörungstheoretiker“ für Menschen, die darüber berichten oder davon ausgehen, dass die Mächtigen Ziele verfolgen, die sie nicht öffentlich verkünden, lehne ich entschieden ab. Gates und Microsoft haben natürlich ein großes kommerzielles Interesse an Digitalisierung von allem und insbesondere dem Zahlungsverkehr. Gates ist im Zuge seiner vielen teuren „philanthropischen“ Aktionen immer reicher geworden und weiterhin der zweitreichste Mensch der Welt. Klar will Microsoft die Daten der Afrikaner und bekommt sie auch. Dazu kommt, dass Microsoft und Gates seit jeher auf das Engste mit den US-Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. Die kommerziellen Interessen und die US-„Sicherheitsinteressen“ mischen sich da.
FMW: Auch wenn Schweden ziemlich weit ist bei der Zurückdrängung des Bargelds. Glauben Sie es wird auf absehbare Zeit in Europa ein Land geben, wo wirklich eine offizielle Abschaffung von Bargeld denkbar ist? Vielleicht in technisch aufgeschlossenen kleinen Ländern wie Estland?
Norbert Häring: Denkbar ist in dieser Hinsicht sehr vieles, Rechtlich ist es hoffentlich nach dem anstehenden Beschluss des EuGH nicht möglich.
Beim Klicken an dieser Stelle finden Sie ein Gespräch zwischen Marc Friedrich und Norbert Häring über die Themen Bargeld und Totalüberwachung. Hochinteressant!
Norbert Häring (hier geht es zu seiner Webseite) war drei Jahre für die Commerzbank tätig, zunächst in der Volkswirtschaftlichen Abteilung als Konjunkturanalyst, dann als Redenschreiber für den Vorstand und Managing Editor des Geschäftsberichts. 1997 wechselte er in den Wirtschaftsjournalismus. Er arbeitete bei der Börsen-Zeitung; zunächst als Redakteur, dann als Ressortleiter für Konjunktur und Wirtschaftspolitik. Er war bei der Gründung der Financial Times Deutschland dabei, wo er zunächst als Redakteur für Geldpolitik, dann als Stellvertretender Ressortleiter Finanzen arbeitete. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er ist Mitgründer und Ko-Direktor der World Economics Association WEA. Der 2011 gegründete Ökonomenverband mit mehr als 15.000 Mitgliedern hat sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt in der Wirtschaftswissenschaft zu fördern, sowohl in regionaler Hinsicht, als auch hinsichtlich der verwendeten Methoden. Für die von der WEA herausgegebene Fachzeitschrift World Economic Review fungierte er von 2012 bis 2015 als Co-Editor. Seine Klage auf das Recht, die Rundfunkgebühr mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel Euro-Bargeld bezahlen zu dürfen, wartet derzeit auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
September 05, 2020 at 02:34PM
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